Verapamil und Betablocker kombinieren – wenn sonst nichts mehr geht…

Tachykardes Vorhofflimmern ist ein extrem häufiger Vorstellungsgrund in der Notaufnahme und oft genug ein recht harter Brocken. Klassischerweise bekommen diese PatientInnen dann üblicherweise Betablocker i.v., was oft genug keine ausreichende Frequenzkontrolle herstellen kann. Wie schön wäre es, wenn man da eine zusätzliche Option hätte, die eben nicht gleich das mächtige aber mit vielen Nachteilen versehene Amiodaron ist. Da käme doch das gute alte Verapamil gerade richtig. Aber: gerade in der Weiterbildung bekommt man regelmäßig eingebläut, dass Betablocker und Verapamil nie kombiniert werden dürfen. Es drohen kardiogener Schock und höhergradige Rhythmusstörungen. Ganz abgesehen davon, dass man ab einer eingeschränkten Pumpfunktion von rund 40% Verapamil gar nicht mehr einsetzen soll. Nur: woher kommen diese Bedenken und stimmt das überhaupt?

Das ist etwas komplexer, aber für die Notfallmedizin gilt eindeutig: unter Überwachung und dann im Verlauf stationärer Kontrolle spricht da nicht wirklich etwas dagegen. Die Langzeittherapie – was ja zum Glück nicht unser Thema ist – sieht da komplett anders aus. Aber um eine hartnäckige Tachyarrhythmie einzufangen, kann die Kombination von Verapamil und Betablocker eine sinnvolle und effektive Option sein.

Aber:

First things first: wie bei allen Vitalzeichen, an denen wir herumschrauben, müssen wir uns klar machen, was die Auslöser der tachykarden Phasen sind. Und die müssen parallel zum Mangement der Tachykardie abgearbeitet werden. Das bedeutet konkret und als ersten und wichtigsten Schritt: Norm-Zustände wieder herstellen:

  • Ausgleich eines Volumendefizites: wenn bei 40 Grad im Schatten einfach nicht genug nach getrunken werden kann, sollte eine Vollelektrolytlösung hier unterstützen. Es gibt aber auch genug andere Situationen, in denen ein relativer Volumenmangel vor liegt, so dass außer bei Zeichen der Volumenüberladung bei mir alle Tachyarrhythmien 1 Liter Flüssigkeit erhalten. Sofern eine orale Aufnahme möglich ist, ist der Effekt deutlich besser und langanhaltender.
  • Optimierung der Elektrolyte: diese sollten sich im hochnormalen Bereich befinden, üblicherweise ist die Optimierung einer Vollelektrolytlösung nach BGA (z.B. Ergänzung um Kalium) eine sinnvolle Therapievariante. Klassischerweise nutzen intensivmedizinisch geprägte KollegInnen jetzt Magnesium i.v., aber dazu gibt es 2 Sachen zu bedenken: wir befinden uns nicht auf einer Intensivstation oder im OP und daher ist das PatientInnenklientel ein komplett anderes, aber wie so oft, wenn ich nur einen Hammer habe, werden aus Schrauben schnell Nägel. Und: die Leitlinie von 2024 zu TAA erwähnt Magnesium exakt einmal in 101 Seiten: keine Evidenz dafür.
  • Offensichtliche weitere Erkrankungen als Auslöser der tachykarden Phase wie Infekt oder kardiale Dekompensation sollten ebenfalls primär behandelt werden. Da ist genau so wie bei der akuten arteriellen Hypertonie die Grunderkrankung das Behandlungstarget und nicht die reine Tachykardie.

Und:

Das ist ein eine absolute Grundlage und sollte Grundwissen sein: Metoprolol wirkt sehr schnell, immerhin im Bereich von 1-2 Minuten, mit etwas Geduld ist also die Wirkung direkt zu beobachten. Und das heißt: Metoprolol immer als langsamen Bolus selbst i.v. geben, nie nie nie niemals als Kurzinfusion. Weil die klinische Wirkung ist nach rund 60 Minuten raus. Hierzu gibt es kaum belastbare Daten, ich habe sogar mal den Hersteller angeschrieben und nicht mal die wussten es so ganz genau. Wenn ich also meine Kurzinfusion ran hänge, die über so 15 min rein läuft, ich was anderes erledige und dann meist nach insgesamt 60-90 min wieder hin schaue, ist von der Wirkung nichts mehr übrig. Also direkt am Ball bleiben, und Metoprolol i.v. bedeutet auch immer ein kleines Geduldspiel.

Apropos Geduldspiel:

Bei im Schnitt 4h Aufenthaltsdauer in der ZNA bewirken Medikamente mit einer Wirkdauer von 60 Minuten nur begrenzt eine abschließende Behnadlung. Daher sollte mit Wirkeintritt und Frequenzkontrolle unbedingt und sofort ein oraler Betablocker (Cave: Tageshöchstdosis) ergänzt werden. Verapamil i.v. wirkt zumindest deutlich länger, da muss man nicht nachdosieren. Auch hier gibt es eine Maximaldosis, aber da wir uns eh im Grenzbereich der Indikation bewegen wäre ich hier eher vorsichtig und würde maximal bis 10mg fraktioniert (z.B. in 2,5mg – Schritten) gehen.

Die oben zitierte Leitlinie empfiehlt übrigens explizit nicht die Kombination von Verapamil und Betablocker, aber belegt das mit 2 Literaturstellen, die das Thema nicht mal erwähnen. Aber das kennen wir ja schon.

Was sagen die Elektrophysiologen?

In ihrem Buch Management of Cardiac Arrhythmias beschreiben das die Autoren nonchalant wie folgt: „Secondly, verapamil and diltiazem are usually used to control the rapid ventricular response in patients with atrial  tachycardia (AT), atrial flutter (AFL), and atrial fibrillation (AF) at rest and during exercise. In this context, their actions can be combined with those of digoxin and β-blockers to obtain a synergistic and (or) an additive effect.“

Zusammengefasst: wenn bei Vorhofflimmern eine schnelle ventrikuläre Antwort – also eine hohe Frequenz – vorliegt, kann man unter intensivmedizinischen Monitoring die Gabe von Betablocker und Verapamil kombinieren. Vorausgesetzt die Pumpfunktion liegt über 40%.

Und die Zulassung?

In der Packungsbeilage wird explizit drauf hin gewiesen, dass Betablocker und Verapamil nicht kombininert werden dürften. Außer in der Intensivmedizin. Was vermutlich daran liegt, dass den KollegInnen, die die Zulassungen damals geschrieben haben, die Fachrichtung Notfallmedizin nicht unbedingt geläufig war, schließlich stammt Verapamil aus den 60ern.

Meine persönliche Erfahrung – die keine Evidenz ersetzt –  ist, dass die Kombination absolut safe ist, aber leider auch keine eierlegende Wollmilchsau. Daher muss auch in Zukunft erst die Grundlage (Elektrolyte, Volumenstatus, …) erarbeitet werden, und dann kann man mit dieser Kombination die Chance erhöhen, eine Frequenzkontrolle zu erreichen.

Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Angegebene Dosierungen stellen keine Therapieempfehlung dar und dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

Quellen:

https://academic.oup.com/eurheartj/article/45/36/3314/7738779

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-41967-7

 

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